Silvester naht und damit auch die leidige Knallerei. Das merkt man einerseits an der penetranten Werbung für Wunder-Leckerlis, die beim Feuerwerk einen entspannt schlafenden Hund garantieren und den gehäuften Anfragen in den sozialen Netzen à la „Hilfe, ich habe einen Angsthund, was soll ich tun?“. Und natürlich fühle ich mich wieder an Lilly erinnert, den Angsthund, der keiner war.
Wie so oft heften wir Menschen auf etwas ein Zettelchen, damit wir wissen, in welche Schublade es gehört, und bei unseren Hunden steht sehr oft „Angsthund“, oder „stur“, oder „dominant“ drauf. Dementsprechend ist der Umgang mit den Hunden und ist das, was auf dem Zettelchen steht völlig falsch sind Missverständnisse im Zusammenleben vorprogrammiert. Daher beschäftigt mich die Frage, wann ein Hund zum Angsthund wird, tatsächlich Maßnahmen gesetzt werden müssen und unter Umständen sogar Psychopharmaka angebracht wären.
Angst - was ist das?
Angst ist ein durch ein Objekt, Subjekt oder Situation als Auslöser verursachtes, negatives Gefühl. Auslöser werden durch alle Sinne wahrgenommen, beispielsweise der Geruch einer Tierarztpraxis oder die statische Aufladung der Atmosphäre lange bevor es donnert. Die Amygdala, ein Teil des Gehirnes, bewertet und verarbeitet den Sinneseindruck und löst die Emotion aus.
Die Reaktion auf Angst vor einem konkreten Auslöser ist ein auf Lernerfahrung basierendes Verhaltensprogramm wie Flucht oder Kampf. Der Zustand der Angst beginnt mit der Wahrnehmung einer konkreten Bedrohung, einer Reaktion darauf, die dann endet, wenn die Bedrohung nicht mehr wahrnehmbar ist und ist somit sinnvoll und energiesparend. Das Verkriechen unter dem Bett ist also eines der 4F (Fight, Flight, Fiddle, Freeze), nämlich das Flüchten. Ist die Liste der Auslöser sehr lange, spricht man auch von einer generalisierten Angststörung, der Hund lebt gleichsam in ständiger, von außen ausgelöster Angst.
Angst ist aber auch ein chronischer, unspezifischer Zustand der Befürchtung, kontinuierlicher Erregung, Anspannung und erhöhter Wachsamkeit, braucht also keinen Auslöser. Im Grunde kann der Hund die Bedrohung nicht vorhersagen, zum Teil existiert diese gar nicht. Auch die Erfahrung, dass dein Hund eine Situation nicht bewältigen oder kontrollieren kann, löst bei ihm Angst aus.
Natürlich hängen diese beiden Formen der Angst zusammen, ergänzen und überlappen sich. Angst ist generell ein enorm komplexes Thema, versteckt sich hinter vielen Verhaltensphänomenen und bahnt sich Wege durch die Psyche. Nicht nur beim Hund, auch beim Menschen, sind doch die zugrunde liegenden Phänomene die gleichen, da evolutionär bedingt.
Angst ist eine Emotion und hat einen evolutionären Sinn, nämlich in einer sich verändernden, unbekannten Umwelt das Überleben zu sichern. Aufgabe ist es, eine Gefahr über einen der Sinne möglichst früh wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren (4F). Diese Reaktion wird zum Teil vererbt, als auch ergänzt durch eigene Lernerfahrungen in ähnlichen Situationen.
Verhalten bei Angst - die 4F
Alles in allem erhöht Angst als Emotion also die Wahrscheinlichkeit zu überleben und ist somit ein zentrales Phänomen jedes Lebewesens. Angst als Emotion ist auch nicht abzugewöhnen oder zu unterdrücken. Sie kann nicht belohnt oder bestraft werden, einzig eine andere Bewertung der Situation kann Angst in Schach halten.
Für die möglichen Reaktionen auf einen Angstauslöser fällt natürlich mal Fight oder Flight, also kämpfen oder flüchten, ein. Als Kampf wird oft Bellen, Knurren, Schnappen in verschiedenen Ausprägungen gezeigt, mit dem Ziel, den Auslöser auf Distanz zu halten. Kampf hat Reife, Selbstbewusstsein, als Grundlage und zeigt sich eher bei erwachsenen Hunden. Die Flucht ist damit die Alternative, Distanz aufzubauen, und stellt sich manchmal nur als ein Zurückweichen dar. Für beide Reaktionen muss der Körper in einen besonders leistungsfähigen Zustand gebracht werden, wir sind wieder beim Stress. Ob Adrenalin oder Noradrenalin ausgeschüttet wird, führt die Reaktion zum Erfolg wird sie abgespeichert, es kommt auch zur Ausschüttung von Dopamin. In einer ähnlichen Situation wird der Hund ergo wieder die gleiche Reaktion zeigen.
Die beiden letzte F sind Fiddle und Freeze, also blödeln und einfrieren. Beim Blödeln das häufig noch nicht erwachsene Hunde zeigen, wird allerlei Verhalten gezeigt das dem Spiel ähnelt, Gehüpfe, eigentlich nichts Zusammenhängendes. Es wird mit der Leine gezergelt, hochgesprungen, das Verhalten ist recht schwierig einzuordnen. Einfrieren hingegen ist leicht zu erkennen, Hunde ziehen dann oft die Ohren zurück und scheinen tatsächlich für einige Sekunden zu erstarren bevor sie meistens nach vorne gehen.
Wichtig für uns Hundemenschen ist zu verstehen dass das Verhalten stark von Lernerfahrungen, Alter, Situation etc. des Hundes abhängt und sich mit der Zeit natürlich ändert.
Übertriebene Angst
Die Frage, ab wann die Angst bzw. das in dieser Emotion gezeigte Verhalten deines Hundes zum Problem wird und somit deiner Intervention bedarf, kann als Verlust des ursprünglichen Anpassungswertes beantwortet werden, Angst hat dabei keine schützende, sinnvolle Funktion mehr. Das Verhalten ist erstarrt, die Lernfähigkeit stark eingeschränkt. Dein Hund hat Schwierigkeiten, mit seiner Umwelt zu interagieren, hat Angst in alltäglichen Situationen und zeigt dabei oft aggressives Verhalten. Auch die Generalisierung der Auslösreize führt zu einem kontinuierlichen Zustand der Unsicherheit, der Befürchtung, kontinuierlicher Erregung, Anspannung und erhöhter Wachsamkeit. Das heißt, dein Hund befindet sich in einem Dauerzustand von Angst und Stress, was natürlich auch nicht der Sinn dieser Mechanismen ist.
Hier ist es in Ordnung, von Angsthund zu sprechen, und natürlich muss etwas getan werden. Zuallererst müssen Rückzugsorte vor der Angst gefunden werden, also Situationen, die entspannt erlebt werden. Unter Umständen helfen dabei Psychopharmaka vom Verhaltensmediziner, diese sind allerdings nicht als Dauermedikation zu betrachten, sondern als Hilfe, um am Problem überhaupt arbeiten zu können. Stressabbau, Desensibilisierung, Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit könnten die nächsten Schritte sein.
Angst und KörperSPrache
Mit ein wenig Übung gelingt es dir die Anzeichen von Angst bei deinem Hund zu erkennen, wichtig ist dabei schon die kleinen Zeichen zu sehen. Grundsätzlich hat Angst immer ein distanzforderndes und -förderndes Verhalten zu Grunde, dein Hund möchte einen möglichst großen Abstand zum Auslöser. Gelingt das nicht mit Flucht (Flight), kommt Aggression (Fight) ins Spiel.
Bei leichten Angstzuständen bzw. Unsicherheit:
angespannte Gesichtszüge mit nach hinten gezogenen Ohren und Mundwinkeln
erweiterte Pupillen, erhöhte Herzrate
erhöhte Wachsamkeit und scannen der Umgebung
Bei starken Angstzuständen:
Zittern, übermäßiges speicheln und hecheln
eingezogener Schwanz und gekrümmter Rücken
Verstecken, verkriechen, flüchten
erhöhte Aggressivität
Natürlich überlagern sich die äußeren Anzeichen von Angst mit jenen von Stress, allerdings ist die Verhaltensveränderung schon markant. Angst ist also nicht zu übersehen.
So hilfst du deinem AngSthund
Solltest du meinen gegen die Angst deines Hundes etwas tun zu müssen, weil du der Meinung bist die Angst geht über das erträgliche, normale Mass hinaus, solltest du ein paar Punkte beachten.
Hände weg von Reizüberflutung! Die in vielen sozialen Medien oft gegebenen Tipps wie „dran gewöhnen“ oder „da muss er durch“ sind bei echter Angst kontraproduktiv. Dein Hund lernt nur nach weiteren Anzeichen für den Auslösereiz zu suchen, generalisiert diese und bald ist nicht nur die Knallerei zu Silvester das Problem, sondern auch die zugeschlagene Autotür.
Gib deinem Hund soziale Unterstützung, berühre ihn sanft, rede ihm zu! Die oft getroffene Aussage „damit belohnst du die Angst“ ist natürlich kompletter Nonsens, also sei für deinen Hund da, wenn er dich braucht, führe ihn ruhig aus der Situation und vermeide in Zukunft den Auslösereiz.
Um deinen Hund zu desensibilisieren, kannst du ihm den Auslösereiz in abgeschwächter Form präsentieren und ihn schrittweise desensibilisieren. Das bedeutet, der Knall ist sehr leise, der andere Hund weit weg, undsow. Dein Hund sollte noch ansprechbar sein für dich, keine äußeren Zeichen von Angst oder Stress zeigen, noch gut Futter annehmen. In ganz kleinen Schritten kannst du die Intensität des Reizes erhöhen, was jetzt natürlich das Training bzw. die Gestaltung der Trainingssituation recht anspruchsvoll macht.
Hund und silvester
Zum Schluss: die Wundermittelchen gegen die Knallerei bei Silvester sind wirkungslos, was deinem Hund hilft, ist großflächiges Meiden des Lärms, etwa durch Übernachten in einem Flughafenhotel. Ist es dir nicht möglich, dem Lärm zu entkommen, kannst du beim Tierarzt ein (wirksames) Präparat holen, dem Hund eine möglichst schalldichte Box bauen oder auch mit einem Schal die Ohren abdichten. Ihn der Angst einfach so zu überlassen ist definitiv keine Option.
Und Lilly? Da war es wohl so, dass ihre Menschen beschlossen haben, sie ist ein Angsthund, obwohl es ihr nur an Unterstützung in schwierigen Situationen und Möglichkeiten zur Entfaltung gefehlt hat. Mittlerweile ist sie eine starke Hundedame, keine Draufgängerin, kann sich auf ihre Menschen verlassen und das ohne Medikamente.